Münsterländer Aufruf zur Rettung der Artenvielfalt
Stummer Frühling 2.0 – Was kostet uns das Artensterben?
Gemeinsamer Aufruf | Foto: Martin Zumdiek
Handlungsempfehlungen für den sofortigen Stopp des Artensterbens
Das Insektensterben hat 2017 durch die mediale Verbreitung der Studie des Entomologischen Vereins Krefeld aus dem Jahr 2013
eine große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erlangt. Die Studie zeigt auf, dass die Zahl der fliegenden Insekten in den
analysierten Naturschutzgebieten seit 1989 um bis zu 80 Prozent zurückgegangen ist. Insekten sind nicht nur die wichtigsten
Pflanzenbestäuber, sondern regulieren auch Schädlinge und dienen zahlreichen anderen Arten als Futter. Weniger Insekten
bedeuten deshalb weniger Fische, Frösche, Eidechsen, Vögel und Säugetiere. Und so werden gerade unsere gesamten Ökosysteme
irreversibel geschädigt.
Die Folgen des Artensterbens sind gravierend, denn Bienen, Wildbienen und Schmetterlinge sind unverzichtbar für die Bestäubung
von Pflanzen. Seriöse Schätzungen gehen von 230 bis 570 Milliarden Dollar aus, die die Bestäuberleistung der Insekten weltweit
jährlich wert ist. Bis zu 75% unserer Kulturpflanzen und bis zu 90% aller Wildpflanzen sind auf Insekten angewiesen. Rund ein
Drittel aller Nahrungsmittel ist auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. Und so sichern letztendlich Insekten die
Welternährung. Sie zersetzen Aas, Kuhfladen und Mist und machen unseren Boden erst fruchtbar. Dazu sind Insekten auch
wissenschaftlich äußerst wertvoll, da wir von deren Erforschung viel lernen können.
Aber neben diesen mehr oder weniger monetär fassbaren Auswirkungen sind auch die ideellen Folgen des endgültigen Verlustes von
Arten massiv und nicht in Geld aufzuwiegen. Denn durch das Artensterben geht ein großer Teil der sich über zig Millionen Jahre
entwickelten genetischen Festplatte der Erde unwiederbringlich verloren. Welche Folgen dieser Artenschwund für das ökologische
Netz hat, das uns alle trägt, ist überhaupt noch nicht absehbar.
Deshalb müssen wir sofort und gemeinsam als Gesellschaft und auch jeder Einzelne Maßnahmen gegen den Artenschwund ergreifen.
Das sofortige Stoppen des Artensterbens ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss auch gesamtgesellschaftlich
geleistet und finanziert werden.
Wir brauchen eine insekten- und vogelfreundlichere Gestaltung und Bewirtschaftung bei allen Flächen und von allen Flächenbesitzern -
bei den Privatgärten genauso wie bei den Flächen der Kirchen, von Vereinen, in den Gewerbegebieten oder in den Kommunen sowie in der
Landwirtschaft.
Die Teilnehmer der Artenschutzkonferenz stellen gemeinsam folgende Forderungen auf:
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Die Ursachenerforschung des dramatischen Rückgangs der Masse und Anzahl an Insekten und Insektenarten ist deutlich auszubauen.
Wir fordern die Gründung eines zentralen Instituts für Biodiversitätsforschung, welches sich um die Entwicklung der
Biodiversität sowie um ein Biodiversitätsmonitoring kümmert.
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Die Aufklärung der Öffentlichkeit über den Artenrückgang, dessen Ursachen und über mögliche Handlungsoptionen ist zu intensivieren.
Denn jeder Einzelne kann z.B. im eigenen Garten oder über ein verändertes Konsumverhalten einen Beitrag zum Stopp des
Artenrückgangs leisten.
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Die Kenntnis ökologischer Zusammenhänge sowie naturkundliches Wissen sind die Grundlagen für einen bewussten Umgang mit der Natur.
Wir fordern daher eine deutliche Stärkung dieser Themen in unseren Schulen sowie eine stärkere Integration in die landwirtschaftliche
und gärtnerische Ausbildung.
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Wir fordern mehr Förderung und Anreizsysteme für die Schaffung und den Erhalt von miteinander vernetzten insekten- und vogelfreundlichen
Lebensräumen - wie bspw. Wildblumenwiesen, Streuobstwiesen, Hecken, artenreichem Grünland, Feuchtbiotopen für öffentliche Flächen,
Privatflächen und für die Landwirtschaft - integriert in einer Lebensraumentwicklungsstrategie.
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Eine konsequente Begrenzung der Versiegelung und der Zerschneidung von Landschaften durch eine Strategie zur Versiegelungsbegrenzung
muss endlich umgesetzt werden. Damit wird das Ziel verfolgt, landwirtschaftliche Nutzflächen und Lebensräume für die Artenvielfalt
zu sichern. Mittelfristig fordern wir, den Verbrauch wertvoller landwirtschaftlicher Fläche vollständig zu beenden. Die Sicherung von
ausreichenden Flächen für eine nachhaltige Landbewirtschaftung, den Naturschutz und die Erholung ist die Schlüsselaufgabe in den
nächsten Jahren. Das 5-ha-Ziel ist zeitnah in NRW umzusetzen.
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Eine sofortige Einschränkung des Einsatzes von chemischen Pestiziden - zumindest auf allen nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen
(Privatgärten, öffentlichen Flächen, etc.) sowie in Naturschutzgebieten - muss umgesetzt werden, so dass diese dort nur noch in besonderen
Ausnahmefällen eingesetzt werden.
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Wir fordern mehr Förderung und Anreizsysteme für eine pestizid- und stickstoffreduzierte Bewirtschaftung in der Land- und Forstwirtschaft,
für die Anwendung von insekten- und vogelfreundlicheren Ackerbaumethoden und für den Einsatz von Wildpflanzen, Reststoffen und
Landschaftspflegematerial - anstelle von Mais für Biogasanlagen - sowie eine ambitionierte Pestizid- und
Stickstoffreduktionsstrategie.
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Wir wollen die Beendigung des Höfesterbens, denn die bäuerliche Landwirtschaft ist das Fundament unserer Kulturlandschaft und der
heimischen Artenvielfalt.
Fazit: Vor dem Hintergrund dieser gemeinsamen Zielvorstellungen fordern wir sofortiges Handeln und ein bundesweites
Insekten- und Artenschutzprogramm.
Text: Dr. Anne Monika Spallek
Münster 17.03.2018
Foto: Arno Biesemann | Pteropohorus pentadactyla - Federgeistchen